Presse 16.11.: Lateinamerika - Der unheimliche Siegeszug ...
Verfasst: Di 16.Nov 2004, 13:53
... der Linken.
schön dass sie kirchner einen links-peronisten nennen, ich kann mich nicht erinnern jemals über einen rechts-peronisten gelesen zu haben. der peronismus ist nun einmal links-orientiert, und war er schon am ende der 30er jahre!Lateinamerika:
Der unheimliche Siegeszug der Linken
Von unserer Korrespondentin CORNELIA MAYRBÄURL (Die Presse) 16.11.2004
Wegen der steigenden Armut suchen die Wähler in Ländern wie Uruguay und Brasilien nach einer linken Alternative.
BUENOS AIRES. Sie war längst totgeglaubt. Doch nun gibt sie ein kräftiges Lebenszeichen von sich. In Südamerika ist die Linke wieder auf dem Vormarsch, ganz im Gegensatz zum reichen Norden des Kontinents, wo sich der Konservativismus immer weiter ausbreitet. In Brasilien, Chile und Venezuela sind unlängst Linksregierungen in Regionalwahlen bestätigt worden, und in Uruguay wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein Linksbündnis den Präsidenten sowie die Parlamentsmehrheit stellen. Auch in Argentinien regiert der Linksperonist Kirchner nach Ansicht vieler Beobachter nicht ohne Erfolg.
Was macht linke Parteien in Südamerika so attraktiv? Trotz mancher transnationaler Gemeinsamkeiten wäre es falsch, sich einen einheitlichen "Linksblock" von der Karibik bis Feuerland vorzustellen. Am Pazifik sieht es ohnehin anders aus: Die Präsidenten Alvaro Uribe in Kolumbien und Alejandro Toledo in Peru setzen auf Freihandel und Kooperation mit Washington, ebenso wie der Sozialist Ricardo Lagos in Chile, dem eindeutig stabilsten Land des Subkontinents. Lagos legte kürzlich in einem Interview seine Sicht der Dinge dar: "Wenn eine progressive Gruppe auftaucht, die die Gesellschaft verändern will, warnt das Establishment sofort vor dem Chaos. Wir haben aber bewiesen, dass man Veränderung anstreben kann, ohne dass Chaos ausbricht." Tatsächlich sind das Bündnis "Concertacin" in Chile, die Arbeiterpartei (PT) in Brasilien und die "Breite Front" in Uruguay zu sozialdemokratischen Parteien herangewachsen, die den rechten Machtallianzen aus Wirtschaftselite und Militärs gangbare politische Alternativen entgegensetzen.
Das Zeitalter der Guerilleros ist mit Ausnahme der Farc in Kolumbien ohnehin längst vorbei. Ihr einstiges Monopol auf linke politische Ideen ist seit der Wahl eines Gewerkschafters zum Bürgermeister in Bogotá selbst in Kolumbien gebrochen. Die gemäßigten Linksparteien sind sich darin einig, "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz und neue Formen der internationalen Solidarität zu suchen", erklärt der kolumbianische Politologe Alejo Vargas Velázquez.
Der im Elend aufgewachsene Präsident Luiz Inácio Lula da Silva nützt sein Ansehen, um im Namen Brasiliens weltweit neues Engagement für die Armen einzufordern. Gleichzeitig kämpft seine Regierung mit Erfolg in der Welthandelsorganisation gegen die Handelsbarrieren an, die vor allem landwirtschaftliche Exporte aus Entwicklungsländern hemmen.
Anders als Kolumbien und Peru drängt Brasilien darauf, die südamerikanische Integration durch das Handelsbündnis Mercosur voranzutreiben, bevor mit den USA über eine gesamtamerikanische Freihandelszone verhandelt wird. Geeint will man dem übermächtigen Norden mehr entgegensetzen.
Für die Neuorientierung Richtung Mitte gibt es verschiedene Gründe. Das schon seit 1990 regierende Bündnis in Chile musste nach dem Rückzug Augusto Pinochets gemäßigt auftreten, um den Übergang zur Demokratie nicht zu gefährden. In Brasilien wurde Lula erst im vierten Anlauf gewählt, der neue uruguayische Präsident Tabare Vázquez erst im dritten Versuch. Ihre Parteien haben gelernt, dass die Wähler keine extremen Alternativen wollen.
Auch wenn es parteiinterne Diskussionen gibt, ist ihr Regierungskurs klar: Marktwirtschaft, Strukturreformen, um die ausländischen Investoren bei der Stange zu halten; und Hilfe für die Schwachen, aber ohne die Volkswirtschaft zu destabilisieren.
In Argentinien, Brasilien und Uruguay ist die Wahl linker Präsidenten die Folge der ausgeprägten Marktöffnungs- und Privatisierungspolitik der 90er Jahre. Dieses Rezept hatte außer Acht gelassen, dass für eine erfolgreiche Liberalisierung essenzielle Bedingungen wie starke Kontrollinstanzen oder eine unabhängige Justiz oft fehlten. In Argentinien verscherbelte die Regierung Menem achtlos Staatsbetriebe, solange es der Präsidentenclique nützte. In Brasilien und Uruguay wurde verantwortungsvoller gewirtschaftet.
Doch es dauert lange Jahre, bis sich eine stabile Währung oder der Aufbau gewinnbringender Unternehmen auch für die Armen in klingender Münze auszahlen. Vier Jahre Rezession ab 1998 und die Finanzkrise Ende 2001 ließen die Armut in Argentinien und Uruguay erst recht wachsen.
Nicht in das Schema einer neuen, gemäßigten Linken passen Präsident Néstor Kirchner in Argentinien und Hugo Chávez in Venezuela. Die Peronisten, deren Programm in erster Linie Machterhaltung lautet, haben Argentinien mittels klientelistischer Strukturen so gut im Griff, dass sie jede ernst zu nehmende Opposition zugrunde gerichtet haben.
Venezuelas Präsident Chávez wurde erstmals 1998 aus Protest gewählt, weil es sich die beiden Traditionsparteien, die Sozial- und Christdemokraten, an der Macht zu bequem eingerichtet hatten. Das Vorbild des Ex-Putschisten ist Kubas Diktator Fidel Castro. Seit dem verlorenen Referendum gegen Chávez im August ist die Opposition zertrümmert. Der Präsident kann nun in Ruhe daran gehen, die Pressefreiheit stark einzuschränken.